Nurse Jeffrey: Bitch Tapes

von Sebastian Armbrust

Jeffrey Sparkman ist ein Pfleger im Princeton-Plainsboro Teaching Hospital aus der Fernsehserie Dr. House. Nachdem ihn Dr. House in einer Fernsehepisode als ‚männliche Krankenschwester‘ verspottet hat, bringt Jeffrey für seine „Bitch Tapes“ verschiedene Angestellte des Krankenhauses vor die Kamera, um belastende Aussagen über Dr. House zu sammeln, mit denen er ein Disziplinarverfahren einleiten will. Doch obwohl dabei pikante Details offenbart werden, laufen seine Bemühungen immer wieder ins Leere.


Kontext und Medienumgebung

Nurse Jeffrey: Bitch Tapes ist ein Webserien-Ableger der Fernsehserie House, die von 2004 bis 2012 im US-amerikanischen Network FOX erstausgestrahlt wurde und als Dr. House von 2006 bis 2012 in der deutschen Erstausstrahlung auf RTL lief. Die Webserie knüpft direkt an die Handlung zweier Episoden aus der sechsten Staffel der Fernsehserie an, in denen sich House über den Pfleger Jeffrey lustig macht, woraufhin Jeffrey gekränkt ist und sich bei der Personalabteilung über House beschweren will. Darauf wird schließlich nach Ende der Webserie in der ersten Episode der siebten Staffel wieder angespielt: Hier macht Dr. Lisa Cuddy, die Leiterin des Krankenhauses, eine Bemerkung über Jeffreys wiederholte Beschwerden bei der Personalabteilung (ohne aber explizit auf die Ereignisse der Webserien einzugehen).
In einer transmedialen Erzählstrategie, die als „Upstairs-Downstairs-Stil“ angekündigt wurde, ergänzen die Bitch Tapes die fiktionale Welt von House, indem sie Nebenfiguren zu Wort kommen lassen, die in der Fernsehserie nur als Randfiguren auftreten und innerhalb der Krankenhaushierarchie niedrigeren Berufsgruppen angehören. Die Bezüge zu den Hauptfiguren der Fernsehserie werden hauptsächlich in den Dialogen der Figuren hergestellt, lediglich Dr. Lisa Cuddy, die Krankenhausleiterin, hat einen kurzen Auftritt in der Webserie. Trotz dieser gewissen Eigenständigkeit speist sich die Dramaturgie der Bitch Tapes deutlich aus dramaturgischen Rollen- und Konfliktlösungsmustern, die in der Fernsehserie angelegt sind.
Die Figur Jeffrey unterhält ebenfalls ein Facebook- und Twitter-Profil, unter denen die „Appisodes“ angekündigt wurden. Dort findet aber keine Erweiterung der fiktionalen Welt mehr statt, also kein transmedia storytelling im engeren Sinn (vgl. die Definition von Henry Jenkins, 2007).


Produktion / Distribution und Vermarktung

Die 13 Bitch Tapes wurden zunächst als „appisodes“ in der iPhone- und iPad-App inHOUSE sowie über iTunes veröffentlicht. Über inHOUSE wurden dem Publikum der Fernsehserie passend zur Ausstrahlung der Fernseh-Episoden Hintergrundinformationen, Bilder und kurze Videoclips vom Set zugänglich gemacht. Die Bitch Tapes erschienen jeweils Montags, vom 24. Mai bis 16. August 2010, also in der Pause zwischen der sechsten und siebten Staffel der Fernsehserie Dr. House.
Die Drehbücher der Bitch Tapes stammen vom Autorenteam der Fernsehserie. Die Episoden wurden in den Original-Sets und mit Nebendarstellern aus der Fernsehserie aufgenommen. Als einzige Hauptrolle tritt Dr. Lisa Cuddy auf (als Stimme aus dem Off in Folge 6; in Folge 13 auch im Bild).


Dramaturgie und narrative Struktur

Die etwa dreiminütigen Episoden der Bitch Tapes folgen stets dem gleichen Muster: Sie beginnen mit einer Art Rahmenerzählung, in der sich Jeffrey im Stil eines Videobloggers direkt in die Kamera spricht. Es folgt eine wenige Sekunden lange Titelsequenz mit einer kurzen Titelmelodie. Dann sehen wir Material, das Jeffrey mit der Handkamera aufnimmt. Während er versucht, belastende Aussagen gegen House zu sammeln, wird häufig kurz in die ‚Rahmenerzählung‘ zurück geschnitten, in der Jeffrey seinen Fortschritt kommentiert. Zum Ende der Episoden kündigt Jeffrey meist einen nächsten, Versuch an, worauf als kleiner „Abspann“ der Verweis auf die nächste Episode der Bitch Tapes folgt.



Abbildungen: Screenshots aus Nurse Jeffrey: Bitch Tapes.

Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die Rahmenerzählung nicht authentisch, sondern ironisch überspitzt inszeniert wird. So spielt Jeffrey mit verschiedenen Requisiten, um seinen Fortschritt zu illustrieren, und triumphiert etwa nach seinem ersten Erfolg zum Ende von Bitch Tape #7 umrandet von bunten Luftballons und mit einer Geburtstagstorte in die Kamera. Zwar kann die aufwändige Inszenierung dieser Aufnahmen Jeffreys äußerst narzisstischem Hang zur Selbstdarstellung zugeschrieben werden. Sie erzeugt aber auch Komik, indem sie Jeffrey lächerlich macht. So verweist die Inszenierung auch auf eine (extradiegetische) dramaturgische Instanz jenseits der dargestellten Welt, welcher Jeffrey als (homodiegetischer) Rahmenerzähler angehört. Diese Erzählinstanz deutet sich auch in anderen Episoden an, wenn Jeffrey im Verlauf der Rahmenhandlung direkt auf die Ereignisse der Binnenhandlung reagiert und daran verzweifelt, dass seine Bemühungen ins Leere laufen. Des Weiteren fällt die doppelte Adressierung der Bitch Tapes auf: Einerseits möchte Jeffrey sie als Beweise der Personalabteilung vorlegen, andererseits richtet sich die Rhetorik der Rahmenhandlung explizit an ein Publikum außerhalb des Krankenhauses.
Die Dramaturgie der Serie verweist zudem deutlich auf Rollen- und Konfliktmuster, die in der Fernsehserie Dr. House angelegt sind. Gregory House wird dort als exzentrischer und zynischer Arzt etabliert, der regelmäßig soziale wie auch medizinethische Regeln bricht, seine Kolleginnen und Kollegen schikaniert (einschließlich seiner Chefin Lisa Cuddy) und einen ständigen Kleinkrieg gegen die Krankenhausverwaltung führt. Mit diesen Transgressionen kommt House jedoch Woche um Woche davon, weil seine Fähigkeiten als Diagnostiker unverzichtbar sind. Teils sind es sogar erst seine Eskapaden, die ihm die Lösung der höchst ungewöhnlichen diagnostischen Rätselfälle ermöglichen, weil diese auf konventionellem Wege gar nicht zu bewältigen sind. Dieser Umstand lässt ihn regelmäßig über die tugendhaften Haltungen und Ermahnungen seiner Mitmenschen triumphieren und stellt diese letztendlich als naiv und gutgläubig bloß (vgl. Armbrust 2013).
In diese Falle tappt auch Jeffrey in seinen Bitch Tapes wiederholt: Er legt sich mit House an, der sich aber als überlegener Gegner erweist und gegen den trotz der pikanten Details, die Jeffrey aufdecken kann, letztendlich niemand eine belastende Aussage machen möchte. Nebenbei macht sich Jeffrey als Gegenspieler selbst lächerlich und zur komischen Figur, da seine eigenen Manipulationsversuche zu durchschaubar sind und sein Eifer auch deshalb wiederholt ins Leere läuft. So befriedigen die „Appisodes“ letztendlich auch in Abwesenheit von Dr. House ein in der Fernsehserie etabliertes Erzählmuster, das Angriffe auf die Hauptfigur in komisches Scheitern verkehrt.


Ästhetik

Die Rahmenerzählung wird im Stil eines Videoblogs realisiert: Jeffrey sitzt an einem Schreibtisch und wendet sich frontal in die vor ihm aufgestellte Kamera. Die Binnenhandlung wird durch eine von Jeffrey eingesetzte Handkamera aufgenommen, teils aus Jeffreys POV-Perspektive, manchmal legt Jeffrey die Kamera jedoch auch ab und wird so selbst im Bildausschnitt einer versteckten Kamera sichtbar. Die Original-Sets der Fernsehserie House sind in den Bitch Tapes deutlich wiedererkennbar, erscheinen aber durch den Handkameraeinsatz in einem pseudo-authentischen, teils weniger professionell wirkenden Stil.
Besonders in der letzten „Appisode“ wird jedoch deutlich, dass der scheinbar natürliche Einsatz der intradiegetischen Kamera sorgfältig choreographiert ist: Als Jeffrey sich Cuddy nähert, um ihr die noch laufende Kamera zu übergeben, ist die Kamera zuerst scheinbar zufällig auf Cuddy gerichtet. Als diese dann mit der Kamera davon geht, wechselt die Perspektive ebenso ‚zufällig‘ auf Jeffrey, der mit leeren Händen zurückbleibt. Dies erinnert an den ebenfalls sehr choreographierten, pseudo-authentischen Handkamera-Einsatz in ‚found footage‘-Filmen wie Blair Witch Project (1999) und Cloverfield (2008), der auch in weiteren Webserien zum Einsatz kommt (vgl. Kuhn 2013). Außerdem ist das Gesicht von Cuddy in dieser Einstellung nicht zu erkennen, sodass unklar bleibt, ob die Darstellerin tatsächlich vor der Kamera stand. Nach Aussage der Produzenten ist dies ein bewusst gewähltes Stilmerkmal, um das Publikum im Unklaren zu lassen, obwohl hier tatsächlich Lisa Edelstein vor der Kamera steht.


Angaben

Staffeln: 1
Episoden: 13
Episodenlänge: 1:40-3:03
Erscheinungsrhythmus: Wöchentlich
Zuerst gezeigt auf: inHOUSE [iOS-App]
Produktion: Christopher Hanada, Katie Jacobs und Tanner Kling
Jahr: 2010
Genre: Comedy



Abrufbar unter:

Youtube (inoffizielle Uploads verschiedener User)
Hulu (nur in den USA)



Sonstige Quellen

Armbrust, Sebastian (2013): „Serielle Perspektiven auf Patienten und Ärzte: Körper, Psyche und Sozialität in Dr. House.“ In Medialität und Menschenbild, Hg. Jens Eder, Joseph Imorde und Maike Sarah Reinerth. Berlin: De Gruyter. S. 103-118.
Jenkins, Henry (2007): „Transmedia Storytelling 101.“ In Confessions of an Aca-Fan. The Official Weblog of Henry Jenkins.
Kuhn, Markus (2013): „Das narrative Potenzial der Handkamera: Zur Funktionalisierung von Handkameraeffekten in Spielfilmen und fiktionalen Filmclips im Internet“. In DIEGESIS. Interdisziplinäres E-Journal für Erzählforschung 2.1., S. 92-114.
FOX-Seite im Internet Archive
Wikipedia-Eintrag zu Nurse Jeffrey
Entertainment Weekly: 'House' scoop: Nurse Jeffrey forced out by Cuddy!
Entertainment Weekly: Exclusive: 'House' spins off Nurse Jeffrey!
iClarified.com: FOX Releases iPhone App for House M.D.
Nurse Jeffrey: Bitch Tapes in der IMDB
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(Zugriff 26.08.2020)



(Sebastian Armbrust, 05.02.2015)